Der Luftverkehr wird sein Klimaziel verfehlen
Radikale Maßnahmen: Verbot von Flugverbindungen mit einer Reisedauer von weniger als 4,5 Stunden, wenn es alternative Zugverbindungen gibt. Ein Flugkonto für eine quotierte Anzahl von Flugstunden. Eine progressiv ansteigende Steuer, gemessen an der Häufigkeit von Reisen und der zurückgelegten Strecke. Nur einige Beispiele der Forderungen, um die Auswirkungen der französischen Luftfahrt auf die globale Erwärmung bis 2050 deutlich zu verringern.
Zu diesem Ergebnis kommt der französische Thinktank „The Shift Project“ und „Collectif Supaero-Decarbo“, einer Gruppe von rund hundert Student:innen des Institut für Luft- und Raumfahrt „Isae-Supaero“.
Mit ihrer neusten Studie erklären uns die Wissenschaftler:innen, im gänzlichen Gegensatz zur Luftfahrtbranche mit ihren Vertreter:innen aus Industrie, Wirtschaft und der Fluggesellschaften, dass nur mit einer deutlichen Reduzierung des Luftverkehrs die ambitionierten Ziele des Pariser Klimaabkommens zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad erfüllt werden können.
Die bisher von der Industrie geplanten technologischen Innovationen, alternative Kraftstoffe, Flottenerneuerung, Wasserstoff- und e-Flugzeuge, werden nicht ausreichen, um das Pariser Ziel erreichen zu können. Die Akteure wollen die CO2-Emissionen im Luftverkehr bis 2050 um 50 Prozent im Vergleich zu 2005, ohne Verringerung der Verkehrsleistung, reduzieren. Durch das globale Offsetting-System CORSIA sollen seit 2020 die Emissionen zunächst stabilisiert werden, bevor mit der Re-Organisation des Flugverkehrsmanagement, dem verstärkten Einsatz sogenannter eFuels (PTL oder „Kerosyn“) und neuer Flugzeuggenerationen mit Wasserstoff- oder Elektroantrieb das CO2-Rad zurückgedreht werden soll.
Wasserstoff keine Lösung
Angesichts der Menge an Elektrolyse, die für die Herstellung von grünem Wasserstoff erforderlich ist, und der Menge an erneuerbarer Energie, die für den Betrieb dieser Elektrolyse erforderlich ist, wird ein Wasserstoffflugzeug im Jahr 2035 von den Autor:innen der Studie als unwahrscheinlich angesehen. Andererseits ist die Frage nach dem Typ des Wasserstoffflugzeugs, der entstehen wird, und daher sein Handlungsspektrum entscheidend. „Wenn es 2035 nur ein regionales Wasserstoffflugzeug gibt, werden wir weit unter unserem optimistischen Szenario liegen.“
Ein Projekt, das bei den Autor:innen der Studie Skepsis auslöst: „Wasserstoffflugzeuge werden nicht das Problem lösen können“, sagen die Berichterstatter der Studie auf einer Pressekonferenz.
CO2-Budget für den Luftverkehr
Die Autor:innen haben sich für ihren Weg zur Emissionsreduktion auf ein CO2-Budget für den Luftverkehr bis 2050 festgelegt, das nicht überschritten werden darf. Berechnet im Verhältnis zu den CO2-Emissionen des Sektors im Jahr 2018 (2,56 Prozent der Gesamtemissionen weltweit) beläuft sich dieses Budget bis 2050 auf 536 Millionen Tonnen CO2 weltweit und 21,6 Millionen Tonnen auf französischer Ebene.
Unter Berücksichtigung „aller vom Sektor vorgeschlagenen Maßnahmen zur Dekarbonisierung“ haben die Wissenschaftler:innen zwei Szenarien zur Verringerung der Klimaauswirkungen des Luftverkehrs festgelegt, die mit den Zielen des Pariser Klimavertrags vereinbar sind:
Bei der Annahme, dass der Luftverkehr bis 2024 auf das Vorkrisenniveau zurückkehrt und eines Wachstums von 4 Prozent pro Jahr bis 2050, ist jedoch keines dieser Szenarien mit dem CO2-Budget vereinbar, so die Autor:innen des Berichts.
So verbleiben drei Möglichkeiten:
- auf weitere technologische Verbesserungen zu setzen, „eine sehr riskante Wette„,
- das CO2-Budget des Luftverkehrs zu erhöhen, indem sie sich an anderen Sektoren bedienen“ (etwa wie der heutige Emissionshandel),
- oder letztlich den Verkehr zu reduzieren.
Den Verfassern der Studie zufolge muss das globale Verkehrswachstum ab 2025, im sehr optimistischen Szenario, auf +2,52 Prozent pro Jahr begrenzt werden, um das CO2-Budget für den Luftverkehr, trotz der Einführung verschiedener technologischer Innovationen, decken zu können. Gleiches gilt auch für Frankreich. Selbst sofortiger Maßnahmen zur Reduktion der CO2-Emissionen, wie die Dekarbonisierung des Bodenbetriebs, den Ersatz der bisherigen Düsen- oder Strahlflugzeuge durch propellergetriebene Flugzeuge (Turboprop), die weniger Kerosin verbrauchen, oder die Einschränkung der Betankung mit doppelter Treibstoffmenge, die es ermöglicht, mehrere Flüge während des Tages ohne Zwischen-Betankung durchzuführen.
„Wir müssen die Nutzung der Flugzeuge einschränken, um das CO2-Budget einzuhalten.“
Es wird unbequem. Um die Anzahl der Flugverbindungen zu reduzieren, empfiehlt die Studie, das Sitzplatzangebot in vorhandenen Flugzeugen zu erhöhen und die bisher getrennte Business- und First-Class aufzulösen. Zudem sollen Flugverbindungen unterhalb einer Flugdauer von 4,5 Stunden nicht mehr angeboten werden können, wenn es alternative Bahnverbindungen gibt (mit Ausnahme von Flügen zu Drehkreuzen). Das würde bedeuten, dass insbesondere auch die Kurzstreckenflüge auf den Punkt-zu-Punkt-Inlandszielen vollständig wegfallen würden. Die Krisenerfahrung mit den digitalen Möglichkeiten hat auch gezeigt, dass der Geschäftsreiseverkehr per Flugzeug zukünftig wohl dauerhaft auf niedrigen Niveau verbleiben wird. Weitergehende Einschränkungen sind auch hier noch möglich. Und letztlich muss auch das „Meilen„-System („Miles & More“) überdacht werden, das den Überverbrauch von Flugreisen nur antreibt.
Reduzierung der Nachfrage
Doch auch die vorgenannten Maßnahmen reichen noch immer nicht. Bestenfalls würden sie die Emissionen um 10 Prozent reduzieren. In Kombination mit den technologischen Verbesserungsmaßnahmen würden sie das Ende des CO2-Budgets nur um ein Jahr herauszögern. Nur mit einer Reduzierung der Nachfrage nach Luftverkehr, im Falle des wahrscheinlichsten technologischen Szenarios „Iceman“ um -1,75 Prozent pro Jahr und mit dem optimistischen Szenario „Maverick“ nur ein leichten Anstieg von +0,71 Prozent pro Jahr, wird es ab 2025 möglich sein, die Emissionen zu senken, so die Autor:innen der Studie.
„Ergreifen Sie Maßnahmen, um den Wunsch nach Flugreisen zu verringern.“
Die Studie nennt hier vier Möglichkeiten, dieses zu erreichen. Es bedarf „einer Information und Sensibilisierung der Interessengruppen und der Öffentlichkeit„. Aufgeklärt werden muss über die Methode zur Berechnung der Nicht-CO2-Emissionen im Luftverkehr und zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks für eine Reise, unabhängig vom verwendeten Verkehrsträger, mit der Entwicklung eines offiziellen Rechners. Die Studie schlägt auch eine „Emissions-Ampel“ vor, mit der Unternehmen zur Anzeige und Darstellung der Menge der emittierten Treibhausgase der von ihnen beworbenen Flüge verpflichtet werden. Aber abgesehen von der Sensibilisierung stellten die Verfasser:innen der Studie die Idee vor, die Nutzung des Luftverkehrs durch die Zuweisung von Reiserechten zu regeln oder „eine progressive Steuer einzuführen, die an die Häufigkeit der Reise und der zurückgelegten Strecke gebunden ist“.
Sozial-ökologische Transformation im Luftverkehr
Die sozialen Auswirkungen werden groß sein. Wenn sich das als höchstwahrscheinlich erachtete Szenario verwirklicht, würde der globale Luftverkehr im Jahr 2050 um 19 Prozent im Vergleich zu 2019 und die Flugzeugproduktion um 55 Prozent zurückgehen. Die Studie empfiehlt daher Personaltransfers. Vor allem im Schienenverkehr für Mitarbeiter:innen der Fluggesellschaften. Im industriellen Luftfahrtsektor schlägt die Studie vor, „Produktionskapazitäten neu zuzuweisen, um die für die Energiewende erforderliche Ausrüstung herzustellen„.
Die wirtschaftliche und soziale Gleichung ist in dieser Debatte von großer Bedeutung. Der Luftfahrtsektor macht 4,3 Prozent des französischen BIP und 435.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze aus. Wenn das Tourismusgewerbe berücksichtigt wird, noch viel mehr. Nach Angaben des französischen Wirtschaftsministeriums vertritt dieser Sektor mehr als 800.000 Mitarbeiter:innen und etwa zwei Millionen direkte und indirekte Arbeitsplätze.
Foto: Airbus