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Vollbremsung in der Luft

Von Manfred Braasch und Martin Mosel.

Die weltweite Corona-Krise hat die Luftfahrtbranche schwer getroffen. Ein billionenschwerer Wirtschaftsbereich geht fast über Nacht in die Knie, erlebt einen Shutdown nie dagewesenen Ausmaßes. Endlose Reihen von parkenden Flugzeugen und leere Terminals bilden auf der ganzen Welt die Kulisse. Triebwerke müssen abgedeckt werden, damit sich dort keine Vögel einnisten. Unternehmen mit klangvollen Namen und bis vor kurzem beachtlicher Aktien-Performance ringen mit einem Konkurs oder hoffen auf staatliche Zuschüsse. Dabei hatte die Branche schon vor Corona ein enormes strukturelles Problem: Wie sieht die Antwort auf die Klimakrise aus und kann es ewiges Wachstum geben? 

Die weltweite Pandemie bietet die Chance, sich dieser Probleme anzunehmen. Jetzt, wo es still geworden ist, direkt auf den Landebahnen und vor allem für die Anwohner in den Einflugschneisen Land auf Land ab. Kann und muss der Flugverkehr in Deutschland, in Europa, weltweit neu aufgestellt werden und wie könnte das aussehen? Zeit für eine kritische Bestandsaufnahme und Neuausrichtung hätten wir. Aktuelle Studien von Roland Berger und anderen Experten gehen davon aus, dass es mindestens fünf Jahre braucht, bis das Vor-Corona-Niveau in der Luftfahrt wieder erreicht ist. Zweifelsohne, es geht um viel. Die zehn größten Airlines der Welt verzeichnen einen Umsatz von mehr als 326 Milliarden Dollar pro Jahr (2018). Die beiden größten Flugzeugbauer Airbus und Boeing kommen zusammen auf 140 Milliarden Dollar Umsatz (2018). Geld, Macht, Prestige und eine Menge Arbeitsplätze hängen an dieser Form der Mobilität. Und so wundert es kaum, dass sich das einschlägige europäische Business 2016 einen großen schlagkräftigen Lobbyverband gegönnt hat. Waren bis dato noch die etablierten Airlines, die Billig-Airlines und die Hersteller in separaten Verbänden organisiert, betritt nun Airlines for Europe, kurz A4E genannt, die Lobby-Bühne. Ein Verband, der für 16 Unternehmen spricht, die über 700 Millionen Passagiere pro Jahr befördern, mehrere tausend Flugzeuge besitzen und 70 Prozent des Europäischen Flugverkehrs beherrschen. Welcher Politiker könnte da weghören. 

Fliegen verschärft die Klimakrise 

Lobbyarbeit zahlt sich bekanntlich aus. Anders ist es nicht zu erklären, dass der ohnehin nicht sonderlich effektive Europäische Emissionshandel (EU-ETS), in den der europäische Luftverkehr seit 2012 integriert ist, durch das weltweite System CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) 2023 abgelöst werden soll. CORSIA steht für kostenlose Verschmutzungszertifikate der Luftverkehrsbranche und taugt noch weniger als Antwort auf die Klimakrise. Der EU-ETS unterliegt anspruchsvolleren und für die Airlines unbequemeren Klimaschutzzielen als CORSIA, dessen Umsetzung bis 2027 auch noch freigestellt ist.

Die Luftverkehrslobby hat es geschafft, eine halbwegs funktionierende Regelung zur Eingrenzung der CO2-Emissionen durch ein deutlich schwächeres und für Jahre unverbindliches Instrument zu ersetzen. 

Fliegen trägt von allen Verkehrsmitteln – gemessen an seiner Transportleistung – am stärksten zum Klimawandel bei. Betrachtet man nur den CO2-Ausstoss – so wie es die Airlines gern tun – steuert der Flugbetrieb rein rechnerisch ca. drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen bei. Aber Fliegen platziert in der Stratosphäre Rückstände aus der Verbrennung von Kerosin. Wasserdampf, Schwefel- und Stickoxide heizen dort den Treibhauseffekt an. Diese Nicht-CO2-Effekte potenzieren die klimaschädliche Wirkung des Fliegens erheblich. Die umfassende Klimaschädlichkeit des Fliegens versucht man über den sogenannten RFI-Faktor (Radiative Forcing Index) zu erfassen. Dieser wird mit einer Spanne von 3 bis 5 angegeben, was bedeutet, dass die Klimawirkung des Fliegens mindestens 3-mal und höchstens 5-mal so groß ist wie die Wirkung des ausgestoßenen Kohlendioxids allein. Nach dieser realistischen Berechnung hat die Freiheit über den Wolken weltweit rund zehn Prozent des Treibhausgaseffektes zu verantworten.

Dabei fliegen nur fünf Prozent der Weltbevölkerung. Die anderen 95 Prozent bestaunen die Kondensstreifen am Himmel oder kämpfen in vielen Regionen der Erde gegen die Klimakrise und um das nackte Überleben. 

Fliegen = Lärm und Müll 

Fliegen befeuert nicht nur den Klimawandel, dessen unmittelbare Konsequenz in Form steigender Meeresspiegel, Trockenperioden oder extrem aufgeheizter Städte auch wir schon jetzt direkt spüren. Das Fliegen hat weitere Probleme zu verantworten. Schauen wir zum Beispiel auf den Fluglärm. Laut Umweltbundesamt fühlen sich 42 Prozent aller Deutschen durch Fluglärm gestört. Und die Lärmwirkungsforschung sagt uns immer deutlicher: Fluglärm macht krank. Flughafenbetreiber und Airlines werden bei diesem Thema nicht müde, die Karte technischer Fortschritt auszuspielen. Moderne Flugzeuge wie der A 320 neo seien viel leiser, das Problem somit absehbar beseitigt. Tatsächlich aber bewegt sich der Anteil weniger lauter Flugzeuge bei den Starts- und Landungen seit Jahren allenfalls im einstelligen Prozentbereich. An Flughäfen wie zum Beispiel in Hamburg hat der Anteil dieser modernen Flugzeuge in den letzten Jahren sogar wieder abgenommen.

Fliegen verursacht mittlerweile einen gigantischen Müllberg. Jeder Passagier hinterlässt nach Berechnungen der Internationale Luftverkehrsvereinigung IATA bei seiner Flugreise 1,43 Kilo Abfall. Bei weltweit mehr als vier Milliarden Flugpassagieren pro Jahr ergibt dies sechs Millionen Tonnen – zumeist problematischer Plastikmüll. Plastik ist das Mittel der Wahl in der Luftverkehrsindustrie. Es ist leicht und hilft so, Treibstoff zu sparen. Nach der Landung kommt der Putztrupp und es muss schnell gehen. Abfalltrennung oder Recycling ist da nicht vorgesehen. Und so landen mehr als 80 Prozent der Müllmassen direkt auf der Deponie oder im Feuer. 

Schauen wir auf die Produktion von Flugzeugen, ein unterschätztes Thema. Es kommt ein gigantischer Materialeinsatz zusammen, damit wir abheben können. Seltene Erden, jede Menge Kunststoffe und energieintensive Metalle machen den ökologischen Impact im Flugzeugbau zu einem Alptraum. Und wenn die Flugzeuge ausgedient haben, kommt die nächste Herausforderung. Anfangs in den USA und mittlerweile weltweit existieren riesige Friedhöfe für Flugzeuge, manche so groß wie 1400 Fußballfelder mit tausenden Flugzeugskeletten. Eine skurrile Kulisse unserer mobilitätsgetriebenen Überflussgesellschaft. 

Der Staat hat über Jahrzehnte die zivile Luftfahrtindustrie mit Subventionen gepäppelt und damit erheblich zum Vielfliegen beigetragen. Mit jedem Flug werden Unmengen von Kerosin verbrannt, auch weil es nicht besteuert wird. Die Energiesteuerbefreiung des Flugbenzins in Deutschland machte im Jahre 2012 laut Umweltbundesamt (UBA) über sieben Milliarden Euro an entgangenen Steuereinnahmen aus. Zusammen mit weiteren Entlastungen der Branche betragen die umweltschädlichen Subventionen des Flugverkehrs sogar fast 12 Milliarden Euro – pro Jahr. 

Milliarden ohne Gegenleistung 

In der Corona-Krise stellt sich die Frage, ob der Staat angeschlagenen Luftfahrtkonzernen helfen soll. Prominentester Fall: die Lufthansa Group. Ein Unternehmen, das in den letzten fünf Jahren einen Gewinn von insgesamt mehr als neun Milliarden Euro gemacht hat. Ein Unternehmen, das laut Geschäftsbericht 2019 über ein Finanzanlagevermögen von 16,4 Milliarden Euro verfügt. Trotzdem steigt der Staat ein, erwirbt 20 Prozent der Aktien mit Option auf weitere fünf Prozent plus eine Aktie, um im Notfall eine Sperrminorität aufbauen zu können. Insgesamt werden bis zu neun Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Der Staat springt mit Steuergeldern ein, darf (und will) aber nicht ernsthaft bei den kommenden Unternehmensentscheidungen mitreden. Vorgaben für mehr Klimaschutz sind kein Thema. Dass es anders gehen kann, zeigt Frankreich. Dort sind die bereits gewährten Stützungsmaßnahmen für die französisch-niederländische Fluggesellschaft Air France-KLM an eine Reduzierung der Klimalast gebunden, unter anderem durch die teilweise Streichung inländischer Kurzstreckenflüge und die Halbierung der CO2-Last auf den verbleibenden Verbindungen. 

Während die Kanzlerin unlängst beim Petersberger Klimadialog die vorbehaltlose Unterstützung der Bundesregierung bei der Halbierung der EU-Emissionen verkündet, vergibt sie hier die Chance, den klimaschädlichsten Verkehrsträger über konjunkturelle Maßnahmen auch im Klimaschutz zu verpflichten.

Es bleibt nur ein Weg

Aber wohin geht die Reise? Menschen fliegen gern, haben sich daran gewöhnt und wollen offenbar immer mehr. Vor Corona ging die IATA davon aus, dass sich das Aufkommen an Passagieren bis 2035 nahezu verdoppelt. Auf sage und schreibe 7,2 Milliarden Passagiere pro Jahr. Das taugt nicht als zukunftsfähige Perspektive. 

Trägt die Hoffnung auf synthetische Kraftstoffe, die mit Hilfe erneuerbarer Energien aus Kohlenstoff hergestellt werden? Abgesehen davon, dass diese Kraftstoffe auf Jahre viel zu teuer in der Herstellung sind und eine Menge wertvoller regenerativer Energie bei der Herstellung schlicht verloren ginge, gibt es auch hier die schon beschriebenen Nicht-CO2-Effekte in der Stratosphäre. Synthetisches Kerosin ist keineswegs klimaneutral. 

Es gibt nur einen Weg: weniger Fliegen. Hoffnung macht, dass das auch von einem Großteil der Europäer so gesehen wird. Nach einer Umfrage der Europäischen Investitionsbank (EIB) sind 62 Prozent der Verbraucher bereit, aus Klimaschutzgründen weniger zu fliegen. Laut einer Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kann allein eine Verlagerung aller innerdeutschen Flüge von unter 600 Kilometer auf die Bahn ca. 200.000 innerdeutsche Flüge entbehrlich machen. Gekoppelt mit einer Qualitäts- und Ausbauoffensive der Bahn wäre das zumindest ein Anfang.

Der durch die Coronakrise bewirkte Shutdown ist eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt. Die schnelle Flucht über den Wolken bietet keine grenzenlose Freiheit, sondern ruiniert unseren Planeten. Nutzen wir die Vollbremsung für einen Neustart!


Manfred Braasch arbeitet als Landesgeschäftsführer beim BUND-Hamburg. In den 1990er-Jahren unterstützte er den Protest gegen die Airbus-Werkserweiterung in Hamburg-Finkenwerder und den Bau des A 380. Er fordert für Hamburg einen stadtverträglichen Flughafen ohne Inlandsflüge.


Martin Mosel engagiert sich seit Jahren für den Klima- und Lärmschutz im Luftverkehr. Er war Sprecher einer Bürgerinitiative für Fluglärmschutz in Hamburg und Schleswig-Holstein und ist heute stellvertretender Landesvorsitzender des BUND-Hamburg. Als Mitglied in verschiedenen Gremien berät er u.a. die Bundesregierung in Fragen zu Belastungen durch den Luftverkehr.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Der Artikel ist erstmals am 17.08.2020 in LunaPark21 erschienen. lp21 ist eine politische Vierteljahreszeitschrift von und für Menschen, die sich mit gegebenen Zuständen nicht abfinden wollen und sich für eine solidarische Gesellschaft engagieren.

„Vollbremsung in der Luft“, in: Lunapark21 (www.lunapark21.net) (lp21), Jahrgang 2020, 50, S. 52, unter: https://www.lunapark21.net/vollbremsung-in-der-luft/

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